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Der Müll in unseren Meeren – Sinnbild der Wegwerfgesellschaft

Meere und Ozeane faszinieren seit Menschengedenken – als größtes zusammenhängendes Ökosystem der Welt und auch als Sehnsuchtsort für Erholung. Trotzdem wird dieser einzigartige Lebensraum schon seit Jahrhunderten für die Müllentsorgung verwendet. Der exponentielle Anstieg von Abfall in den Meeren, vor allem von Plastik, ist jedoch erst auf moderne Produktions- und Konsummuster zurückzuführen, das Müllproblem in Meeren und Ozeanen gilt heute als Sinnbild für die „Wegwerfgesellschaft“. In einem aktuellen Beitrag für die Zeitschrift Geografische Rundschau entwerfen die beiden ISOE-Autorinnen Heide Kerber und Johanna Kramm eine Skizze von den komplexen Zusammenhängen hinter einem der größten Umweltprobleme dieser Zeit. 

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 Plastikmüll am Strand von Phu Quoc (Foto: Samantha Dietmar, Fotografisches Atelier unterwegs)
Plastikmüll am Strand von Phu Quoc (Foto: Samantha Dietmar, Fotografisches Atelier unterwegs)

Unter all dem Müll in den Meeren kommen Kunststoffe am häufigsten vor. Neben Holz, Glas, Metallen, Gummi und Textilien macht Plastik 75 Prozent der Abfälle aus. Aufgrund ihrer Langlebigkeit bleiben Plastikprodukte an Küsten und „auf See“ über Jahrzehnte ein Problem. Etwa für Meerestiere und Seevögel, die sich in Plastik verheddern oder Plastikteile verschlucken können. Und nicht nur im Meer – auch in den Küstengegenden verursachen Kunststoffe Umwelt- und Gesundheitsprobleme und letztlich erhebliche Kosten: zum Beispiel, weil von Plastik verstopfte Abwasserkanäle oder vermüllte Strände gereinigt werden müssen.

Heide Kerber und Johanna Kramm von der Forschungsgruppe PlastX, unter der Leitung des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, beschäftigen sich in ihrem Artikel „Der Müll in unseren Meeren: Ursachen, Folgen, Lösungen“ mit den Möglichkeiten und Grenzen lokaler und globaler Lösungsansätze. Am Beispiel Vietnam, einem der südostasiatischen „Hotspots“ des Plastikmülleintrags, zeigen die Autorinnen, warum sich die Müllproblematik trotz nationaler Lösungsstrategien und lokaler Bemühungen nicht so einfach lösen lässt. Ein weitgehend fehlendes Umweltbewusstsein und eine unzureichende Abfallinfrastruktur sind entscheidende Faktoren. „Langfristig braucht es nicht nur eine effektive Infrastruktur, sondern auch neue, weniger einwegorientierte Konsumpraktiken“, so fassen sie die anstehenden Herausforderungen zusammen – für den südostasiatischen Raum und weltweit. Denn Kunststoffmüll gelangt überwiegend auf dem Landweg ins Meer. Zu den sogenannten landbasierten Quellen gehören Freizeitaktivitäten im Küstenbereich. Aber auch in größerer Entfernung achtlos weggeworfener Müll findet über den Wind oder über Flüsse an die Strände und ins Meer. 

Bisher kaum mehr als Absichtserklärungen: Globale Lösungsstrategien 

Seit einigen Jahren wird deshalb verstärkt an Maßnahmen gearbeitet, um die Kunststoffeinträge aus landbasierten Quellen in Meere und Ozeane zu reduzieren. Um aber weltweite, ganzheitliche Lösungsstrategien zu entwickeln, heißt es, eine Vielzahl an Akteuren „an einen Tisch“ zu bringen, mit ihren jeweils eigenen Problemwahrnehmungen und konkurrierenden Ansichten und Absichten. Das sind: Politische Akteure, die kunststoffproduzierenden und -verarbeitenden Industrien, nichtstaatliche Umweltorganisationen, Organisationen der Zivilgesellschaft, internationale Entwicklungsorganisationen und die Wissenschaft. Zwar gibt es bereits weitreichende globale Kooperationsplattformen sowie Abkommen, Rahmenrichtlinien und unverbindliche Vereinbarungen. Doch von den erarbeiteten Lösungsstrategien hin zu einer global rechtsverbindlichen „Plastikkonvention“ ist es noch ein weiter Weg. 

Gegenwärtig bleiben erste verbindliche Verträge fragmentarisch, weil sie auf einen Flickenteppich aus parallelen Regularien treffen, wodurch viele der in die Problematik involvierten Akteursgruppen den Rechtsrahmen als unübersichtlich bewerten. Zugleich fehlen oftmals Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismus, um Verstöße gegen bestehende Regularien zu sanktionieren. 

Es fehlen differenzierte Sanktions- und Durchsetzungsmechanismen 

Die beiden ISOE-Forscherinnen machen deutlich, warum es so schwierig ist, die Einträge von Meeresmüll wirkungsvoll zu reduzieren: Die Meeresabfälle stammen aus einer Vielzahl von Quellen. Es ist nahezu unmöglich, die Eintragsquellen und -mengen von Kunststoffabfällen zu beziffern. Zugleich können Kunststoffabfälle über große Entfernungen transportiert werden und sammeln sich unter anderem in internationalen Gewässern an. „Damit fehlt oft der kausale Zusammenhang zwischen Ursache und Auswirkung, und das erschwert auch die differenzierte Zuschreibung von Verantwortungen“. 

Deshalb sei es wichtig, weltweit stärkere Anreize zu schaffen, um Produktion und Konsum von Kunststoffeinwegprodukten weltweit zu minimieren und neben rechtlichen Regelungen und finanziellen Anreizen auch das Umweltbewusstsein zu stärken. Außerdem sollten Unternehmen für die sachgemäße Entsorgung und Verwertung ihrer schnelllebigen Konsumgüter Verantwortung übernehmen. Nicht zuletzt brauche es differenzierte Sanktions- und Durchsetzungsmechanismen, die dafür sorgen, dass Regularien und Multi-Stakeholder-Vereinbarungen mehr als Absichtserklärungen sind. 

Der Müll in unseren Meeren. Ursachen, Folgen, Lösungen.
Heide Kerber, Johanna Kramm (2020). Geographische Rundschau (7/8), 16-20 
Weitere Informationen: www.isoe-publikationen.de

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin:

Heide Kerber
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Pressekontakt:

Dr. Nicola Schuldt-Baumgart 
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