Technik ist nicht alles

Die Verkehrswende braucht eine neue Mobilitätskultur

Die Zukunft der deutschen Automobilindustrie hängt wesentlich davon ab, ob ihr ein ökologisches Umsteuern gelingt. Die Nachfrage nach Fahrzeugen, die weder Klimaziele noch Stickoxidgrenzwerte berücksichtigen, wird kaum stabil bleiben. Auflagen für den Import deutscher Autos nach China deuten darauf hin. Die Industrie reagiert zwar darauf – bei der diesjährigen Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt präsentierte sie unter vielen technischen Neuheiten auch wieder innovative Elektrofahrzeuge. Doch Technik ist nicht alles. Die notwendige Verkehrswende setzt einen gesamtgesellschaftlichen Wandel der Mobilitätskultur voraus.

| Pressemitteilung

Bei der Verkehrswende geht es – ähnlich wie bei der Energiewende – um einen Wandel hin zu einem umweltverträglicheren System, das eine ganze Reihe von Problemen überwinden soll: Der hohe Ausstoß klima- und gesundheitsschädlicher Schadstoffe muss reduziert und die Aufenthaltsqualität in den Städten gesteigert werden. Lärm, schlechte Luft und zugeparkte Stadtviertel sollen der Vergangenheit angehören. „Aber wenn wir die Verkehrswende wollen, müssen wir auch über die Veränderung der Mobilitätskultur sprechen“, sagt Konrad Götz, Mobilitätsexperte am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung. „Es kann keine Wende geben, solange wir nur auf Technik setzen.“ Vielmehr sei die Verhaltensänderung der Verkehrsteilnehmer eine wichtige Voraussetzung für einen umfassenden und nachhaltigen Mobilitätswandel.

Abschied von gewohnten Alltagroutinen

Vielen Menschen sei noch nicht bewusst, dass die bisherige Idee von Individualverkehr – eine Person, tagtäglich alleine im Auto, festgefahren im Stau – nicht mehr zeitgemäß ist, so Götz. „Es wird an einem Stück deutschen Alltags festgehalten, der mit Klimaschutzzielen, Erhalt von Lebensqualität auch für künftige Generationen nicht mehr vereinbar ist.“ Zukunftsfähige Mobilität bedeute Beweglichkeit zur Erfüllung von Wünschen und Bedürfnissen mit möglichst wenig Verkehr und wenig Nebenfolgen für Gesundheit und Natur.

Um diese Form der Mobilität umzusetzen, seien die Voraussetzungen gegeben, ist sich Götz sicher. Doch die Gesellschaft nutze die Potenziale des digitalen Zeitalters nicht ausreichend. „Digitalisierung wird noch oft verstanden als etwas, das den Menschen durch Technik ersetzt“, sagt Götz, „aber Digitalisierung bietet die Chance für eine kreative Nutzung von Technik zur Selbstbestimmung des Menschen.“ Längst ist es möglich, mit Smartphone und Apps alle Fortbewegungsformen miteinander zu verbinden und sich mit dem Fahrrad, dem E-Bike, dem öffentlichen Verkehr und gelegentlicher Autonutzung umweltfreundlich zu bewegen.

Bewusstseinswandel durch neue Erfahrungen

Junge Großstädter nehmen diese multioptionalen Angebote zunehmend wahr. Konrad Götz sieht darin erste Hinweise auf einen Wandel der Mobilitätskultur. Für die Jungen in der Stadt erweise sich das eigene Auto als immer weniger wichtig. Da aber die meisten Kilometer in Deutschland noch mit dem eigenen Auto zurückgelegt werden, müssten alternative Verkehrsmittel wie Car-Sharing noch viel stärker zum Ausprobieren angeboten werden – nicht nur in den Städten. „Denn nur dort, wo Menschen eigene Erfahrungen machen mit flexibler, vernetzter Fortbewegung, setzen Bewusstseinsänderungen ein, die dann zu neuen Alltagsroutinen führen – jenseits vom eigenen Auto in der Garage“, beobachtet Mobilitätsforscher Götz.

Zentrale Bausteine für eine Transformation der Mobilitätskultur haben die ISOE-Forscher Jutta Deffner und Konrad Götz für das Bundesland Hessen analysiert. Sie stellten ihre Forschungsergebnisse auf dem 15. Hessischen Mobilitätskongress im Rahmen der Internationalen Automobilausstellung IAA am 15. September 2017 vor.