ISOE-Blog Soziale Ökologie

Leseempfehlung: Zielkonflikte zwischen Insektenschutz und Landwirtschaft im Dialog lösen

Mit dem jüngsten Insektenschutzgesetz hat der Bundestag den Einsatz von Pestiziden in Naturschutzgebieten untersagt. Damit soll seit Anfang September dem massiven Rückgang der Insektenvielfalt begegnet werden. Doch Konflikte zwischen Landwirtschaft und Naturschutz sind vorprogrammiert: Die neuen Regeln erschweren den landwirtschaftlichen Betrieben die Nutzung ihrer Flächen in den Schutzgebieten. Im ISOE-Blog Soziale Ökologie beschreibt Biodiversitätsforscher Florian Dirk Schneider, wie Dialoge auf lokaler Ebene dazu beitragen können, Zielkonflikte zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu lösen und Kooperationen im Sinne des Insektenschutzes und der Landwirtschaft zu fördern. 

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Hummel im Rapsfeld (Foto: Laura Pashkevich - stock.adobe.com)
Laura Pashkevich - stock.adobe.com

Das Insektensterben hat gravierende Folgen für die Ökosysteme und damit auch für die Lebensgrundlagen der Menschen. Der Artenschwund zeigt sich sogar in Naturschutzgebieten – ein Befund, der wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Diskussionen über Ursachen, Folgen und Gegenmaßnahmen ausgelöst und zu neuen gesetzlichen Regelungen im Umgang mit Pestiziden geführt hat. Aber können Gesetze alleine helfen, Insektenschutz und Landwirtschaft miteinander zu vereinbaren? 

Florian Dirk Schneider, Biodiversitätsforscher am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, beschäftigt sich mit Zielkonflikten zwischen Insektenschutz und Landwirtschaft. In seinem aktuellen ISOE-Blogpost beschreibt er, warum der Dialog auf lokaler Ebene entscheidend sein kann, um gute Lösungen für beide Seiten hervorzubringen. Schneider macht dabei deutlich, wie notwendig tragfähige Lösungen sind. Zwar liege nur ein Bruchteil von Ackerflächen innerhalb deutscher Naturschutzgebiete, aber die Umstellung der Bewirtschaftung aufgrund der neuen Pestizidverordnung könne zur Brachlegung von Flächen mit entsprechend hohem wirtschaftlichen Wertverlust für die Landwirte führen. 

Insektenfreundliche Landwirtschaft per Gesetz?

„In Einzelfällen ist vorstellbar, dass die Neuregelung existenzbedrohend ist, vor allem, weil Landwirtschaftsbetriebe aufgrund der Preisspirale des Weltmarktes ohnehin knapp kalkulieren und auf Bezuschussung durch die Agrarförderung angewiesen sind“, erläutert Schneider in seinem Beitrag. Das Problem: Für die Ertragsminderung in Schutzgebieten sei kein gesetzlicher Ausgleich vorgesehen und eine Agrarförderung, die den Naturschutz als Gemeinwohlleistung der Landwirtschaft vergütet, sei nicht in Sicht. „Naturschutz, wie er jetzt im Gesetzbuch steht, wird somit für betroffene Landwirte zur Last“, sagt Schneider. „Darum ist es wichtig, die bereits bestehenden, einvernehmlichen Lösungen im Sinne des Insektenschutzes zu stärken.“ 

Mehrere Bundesländer und Regionen hatten in der Vergangenheit bereits auf kooperative Lösungen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz gesetzt: Kooperationen, die per Vertrag die schrittweise Reduzierung zulässiger Mengen für die Pflanzenschutzmittelanwendung bis zum Verbot vorschreiben. Eine freiwillige Verpflichtung der Landwirte, die im Gegenzug zugesicherte Pachtlaufzeiten, Beratung und Unterstützung bei der Umstellung auf Ökolandbau oder Entschädigungszahlungen für die Ertragsminderung erhalten. Um diese Dialoge nicht zum Erliegen zu bringen, schafft das jetzt verabschiedete Insektenschutzgesetz die Möglichkeit von Ausnahmen und länderspezifischen Regelungen für bereits laufende Kooperationen. 

Doch was bedeutet das neue Gesetz für künftige Kooperationen? Florian Dirk Scheider weist darauf hin, dass solche Vereinbarungen erschwert werden dürften, weil der freiwillige Pestizidverzicht in Schutzgebieten als Verhandlungsmasse entfällt. „Das Insektenschutzgesetz legt also die Messlatte für künftige Kooperationsverträge höher. Umso größer ist der Vorteil nun für die Betriebe und Akteure, die sich schon frühzeitig um kooperative Lösungen bemüht haben, denn sie dürfen Pestizide gegebenenfalls noch länger anwenden als andere.“ 

Kooperationen und lokale Dialoge für konkrete Lösungsansätze

Schneider macht deutlich, dass Aushandlungsprozesse zwischen Vertreter*innen der Landwirtschaft und des Insektenschutzes für eine insektenfreundlichere Landwirtschaft in Deutschland weiterhin auf allen Ebenen zentral bleiben. Besonders wichtig seien dabei neben den notwendigen Verhandlungen auf EU-Ebene die Aushandlungsprozesse auf regionaler und lokaler Ebene. Diese seien oft von mehr Verständnis für die Positionen der „Gegenseite“ und auch von einer Bereitschaft zur Veränderung geprägt. „Beim Blick auf das konkrete Naturschutzgebiet vor der eigenen Haustür sind darum ganz andere Gespräche möglich.“

Mit seinem Verweis auf die Forschungsarbeit des ISOE im Projekt DINA beschreibt Schneider die Vorteile von wissenschaftlich begleiteten Dialogprozessen zwischen lokalen Akteursgruppen aus Landwirtschaft, Wissenschaft, Politik und Naturschutz für einen besseren Schutz der Artenvielfalt vor Ort. „Dadurch ergeben sich Chancen auf ein ‚win-win‘ für Landwirtschaft und für den Naturschutz und es kann mehr erreicht werden, als das gesetzlich Geforderte“, ist sich der Biodiversitätsforscher sicher. 

Zum Blogbeitrag: 

Schneider, Florian D. (2021): Lokale Dialoge als Chance für Insektenbiodiversität und Landwirtschaft. ISOE Blog Soziale Ökologie. Krise - Kritik - Gestaltung

Wissenschaftlicher Ansprechpartner:

Dr. Florian Dirk Schneider
Tel. +49 69 707 6919-71

Pressekontakt:

Melanie Neugart
Tel. +49 69 707 6919-51
neugart(at)isoe.de