Tagungsdokumentation

Einführung in das Tagungsthema

Diana Hummel, ISOE

In ihrem Einführungsvortrag beschrieb Diana Hummel die Ausgangsperspektive der Tagung „Aufbruch in die Gegenwart – Die sozial-ökologische Zukunft heute gestalten“: In den Blick genommen wird die Gegenwart. Eine Gegenwart, in der Krisendiagnosen einen großen Aufschwung erfahren. Das führe dazu, dass bislang vertraute Orientierungspunkte und Gewissheiten für viele Menschen nicht mehr funktionieren. Damit gehe etwas verloren, nämlich ein Bild von der Zukunft als einem besseren Übermorgen – und damit auch das Bewusstsein für die Gestaltungsmöglichkeiten, ja die Chancen, die die Gegenwart bereithält. Diese Gestaltungsmöglichkeiten standen im Mittelpunkt der Tagung.

Sozial-ökologische Gestaltung im Anthropozän

Thomas Jahn, ISOE

In seinem Beitrag stellte Thomas Jahn den Zugang des ISOE zu einem neuen Verständnis von sozial-ökologischer Gestaltung im Anthropozän vor. Er ist als Denkanstoß und Diskursintervention gedacht, die sich zuallererst an die Akteure der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung richten. Eine sozial-ökologische Gestaltung muss sich demgegenüber im Kern auf das In-Beziehung-Setzen von Gesellschaft und Natur richten und sich dabei von der Idee einer grundsätzlichen Gleichberechtigung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Subjekten leiten lassen. Dieses Bild von Gestaltung übersetzte Thomas Jahn in sechs Gestaltungsprinzipien.

Alternative Krisen- und Gestaltungsperspektiven

Wie lässt sich das Anthropozän erzählen und gestalten?

Gabriele Dürbeck, Universität Vechta 

In wissenschaftlichen Abhandlungen und der Publizistik werde auffallend häufig auf wiederkehrende Narrative, Bilder und Metaphern zurückgegriffen, die das Anthropozän in seiner Komplexität erfassen und anschaulich machen sollen, sagte Gabriele Dürbeck. Das Anthropozän erscheint als eine Erzählung mit einem Protagonisten (die ganze Menschheit als kollektiver Akteur), einem Plot mit Ursache-Wirkungs-Verhältnissen, einer räumlichen und zeitlichen Struktur (deep time, deep future) sowie einer Moral (Verantwortung für die Gestaltung des Planeten; planetary stewardship). In ihrem Vortrag unterschied Dürbeck fünf Narrative des Anthropozän. Impulspapier

Thesen zur sozial-ökologischen Gestaltung im Anthropozän aus naturwissenschaftlicher Sicht

Thomas Hickler, Senckenberg BiK-F / Goethe-Universität, Frankfurt am Main 

In seinem Impulsvortrag stellte Thomas Hickler Thesen zur sozial-ökologischen Gestaltung im Anthropozän vor. Transdisziplinäre Forschung sei notwendig, um die nötige Wissensbasis zu erschaffen und um die gesellschaftlichen Diskussionen zu begleiten, formulierte Hickler unter anderem. Hierbei solle man die enorme technische Innovationskraft der Menschheit nicht unterschätzen. Gesellschaftliche und politische Prozesse seien der Flaschenhals, nicht Technik oder Ökonomie. Impulspapier

Wider besseres Wissen? – Provokationen des Anthropozäns

Sabine Höhler, Royal Institute of Technology, Stockholm 

Das Anthropozän fordere dazu heraus, anthropozentrisches Denken, gebräuchliche Größenordnungen von Raum und Zeit und den disziplinären Modus der Wissenschaften zu hinterfragen, sagte Sabine Höhler. Aber auch das Konzept des Anthropozäns könne herausgefordert werden: Seine Krisenbeschreibungen seien hochgradig pessimistisch (Grenzen, Schwellen, Wendepunkte, Umkipppunkte) oder optimistisch (Geo-Engineering, technische Lösungen, zukünftige Lösungen). Bestandsaufnahmen, Prognosen und Umsteuerungsmechanismen würden oft naturwissenschaftlich begründet. Gestaltungsmöglichkeiten lägen zwischen den Extremen der Leugner und der Propheten der Krise. Impulspapier

Demokratisierung der Demokratie

Stephan Lessenich, LMU München 

Stefan Lessenich sagte, dass die anstehende Transformation nach einem anderen, dritten Prinzip erfolgen müsse: „by democracy“. Damit wandte er sich gegen die seit geraumer Zeit in den transformationssensitiven Sozialwissenschaften kursierende Alternativenkonstruktion „by design or by disaster“. Paradoxerweise seien die vielbeschworenen „modernen Demokratien“ allerdings eher schlecht gerüstet für einen solchen Transformationspfad. Was vor diesem Hintergrund in der sozial-ökologischen Transformation anstünde, sei die Demokratisierung der Demokratie: die Entgrenzung sozialer Teilhabeansprüche bei gleichzeitiger Begrenzung des kollektiv-individuellen Naturbeherrschungsbegehrens. Impulspapier

Gemeinsame Reflexion und Diskussion

Im Anschluss an die Vorträge von Diana Hummel und Thomas Jahn sowie die vier Impulsvorträge fand eine Podiumsdiskussion statt zu den Gestaltungsprinzipien für eine nachhaltige Entwicklung im Anthropozän.

Diskussionsforen

Gestaltungsfeld Wasser: Die sozial-ökologische Gestaltung der Nutzung von Wasser im Anthropozän 

Ines Dombrowsky, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn; Stefan Liehr, ISOE; Jörg Oehlmann, Goethe-Universität Frankfurt am Main; Martin Zimmermann, ISOE 

Die Verfügbarkeit von Wasser in guter Qualität und ausreichender Menge ist sowohl für die nachhaltige Entwicklung von Gesellschaften als auch für intakte Ökosysteme zwingend. Angetrieben durch Bevölkerungswachstum, industrielle Landwirtschaft, rasante Urbanisierung und Klimawandel entwickeln sich Wasserkrisen zum Symptom einer Zeit, in der gesellschaftliche Aktivitäten wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte den Wasserkreislauf prägen und die Beschaffenheit von Wasserressourcen und Gewässerstrukturen verändern. Zur Lösung werden häufig technologisch fokussierte Ansätze verfolgt. Aber wie sieht der gesellschaftliche Handlungsspielraum aus? Woran kann sich eine sozial und ökologisch wünschenswerte Gestaltung des Umgangs mit Wasser orientieren, wenn die Grenze der Umkehrbarkeit der gesellschaftlichen Prägung endgültig überschritten scheint? Diese Fragen wurden im Gestaltungsfeld Wasser anhand von Fallbeispielen aus unterschiedlichen Nutzungskontexten diskutiert.

Gestaltungsfeld Biologische Vielfalt: Biodiversität erhalten! Eine Orientierung für das 21. Jahrhundert 

Christoph Küffer, Hochschule Rapperswil; Marion Mehring, ISOE; Irene Ring, TU Dresden; Florian Dirk Schneider, ISOE 

Der Begriff Anthropozän macht deutlich, dass der Einfluss von Menschen auf die Natur selbst in die entlegensten Flecken der Erde reicht. Alle Versuche, die damit verbundenen negativen Folgen für die Biodiversität zu begrenzen oder gar zurückzudrängen, sind gescheitert. Das zeigen die aktuellen Studien des Weltbiodiversitätsrates deutlich. Ausgehend von konkreten Beispielen wurde im Gestaltungsfeld Biologische Vielfalt gefragt, wo die aktuelle Biodiversitätspolitik und der Naturschutz an ihre Grenzen stoßen und wie diese überwunden werden können. Es wurde diskutiert, wie neue Leitbilder und Orientierungen in der Biodiversitätspolitik und Naturschutzpraxis aussehen und auf welche Ziele eine sozial-ökologische Gestaltung ausgerichtet sein sollte?

Gestaltungsfeld Mobilität: Verkehrswende – Spurwechsel oder Neustart? Beiträge zu einer zukunftsfähigen Stadtmobilität 

Jutta Deffner, ISOE; Nora Fanderl, Fraunhofer IAO; Konrad Götz, ISOE; Astrid Tschann, HEAG mobilo 

Unter „Verkehrswende“ verstehen inzwischen (fast) alle das gleiche: den Wandel hin zu einer umwelt- und sozialverträglichen Mobilität. Ausgangspunkt der Diskussion im Gestaltungsfeld Mobilität waren folgende Fragen: Was können wir heute schon umsetzen, das für diesen Wandel wünschenswert und notwendig ist, auch wenn anderes noch verhandelt werden muss? Wie können wir uns eine attraktive multioptionale und nachhaltige Fortbewegung in Stadtregionen vorstellen? Welche Nachhaltigkeitsaspekte stehen dabei im Vordergrund? In die Diskussion wurden außerdem bereits vorhandene Konzepte und Visionen mit den tatsächlichen Anforderungen an eine klimafreundliche Mobilität im Anthropozän verknüpft. 

Gestaltungsfeld Nachhaltiger Konsum: Abfälle vermeiden oder Kreisläufe schließen? Nachhaltiger Umgang mit Plastik 

Tim Janßen, Cradle to Cradle e.V., Berlin; Melanie Kröger, HNE Eberswalde; Immanuel Stieß, ISOE; Carolin Völker, ISOE 

Plastik gehört zu unserem Alltag. Vielseitig nutzbar, robust und preiswert in der Herstellung tragen Kunststoffe zu einer hohen Lebensqualität bei. Doch der Schatten unseres Konsums liegt längst über unseren Ökosystemen, wobei noch nicht einmal alle Folgen von Plastikrückständen in der Natur absehbar sind. Umso dringlicher wird die Suche nach einem verantwortlichen gesellschaftlichen Umgang mit diesem ambivalenten Material. Im Gestaltungsfeld nachhaltiger Konsum diskutierten die Teilnehmenden, wie wir unseren Alltag so gestalten können, dass wir unsere Lebensqualität verbessern, ohne gleichzeitig den Ressourcenverbrauch zu steigern und immer neue Müllberge zu produzieren. Welche Akteure entlang der Wertschöpfungskette müssen zusammenarbeiten? Wie können wir Plastikmüll vermeiden bzw. besser im Kreislauf führen, damit wir der Plastikflut im Anthropozän etwas entgegensetzen können?

Gestaltungsfeld Wissenschaft: Spielt Wissenschaft noch eine Rolle? Transdisziplinäre Forschung im Anthropozän 

Silke Beck, UFZ, Leipzig; Matthias Bergmann, ISOE; Regine Kollek, Universität Hamburg; Alexandra Lux, ISOE 

Die zahlreichen Nachhaltigkeitsprobleme im Anthropozän erfordern schnelle und umfassende Lösungen. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die etwa auf die dramatischen Folgen des Klimawandels verweisen, zeigen dies deutlich. Teile der Gesellschaft wie die „Fridays for Future“-Bewegung nehmen diesen wachsenden Problemdruck immer stärker wahr. Sie fordern besonders von der Politik ein konsequenteres Engagement. Aber auch die Wissenschaft wird mit Nachdruck als legitimierende Instanz für politische Forderungen in die Pflicht genommen. Umgekehrt reagieren auch wissenschaftliche Akteure auf den Problemdruck, indem sie immer häufiger selbst als Aktivist*innen auftreten. Gleichzeitig ist eine Gegenbewegung erkennbar, die Zweifel an der Wissenschaft demonstriert. Diese Bewegung sieht Nachhaltigkeitsforschung als Bedrohung gewohnter Lebensweisen. Im Gestaltungsfeld Wissenschaft standen folgende Fragen im Mittelpunkt: Welche Rollen und welche Verantwortung hat Wissenschaft in Krisenzeiten und wie geht sie mit Konflikten um, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungen entstehen?

Die sozial-ökologische Zukunft heute gestalten – (k)ein Widerspruch?

Abschlussdiskussion mit Vertreter*innen aus den Gestaltungsfeldern 

Closing Remarks

Martina Winker, ISOE

Vertreter*innen aus den Gestaltungsfeldern berichteten in der abschließenden Diskussion von der Arbeit in den Gestaltungfeldern und zogen ein erstes Resümee.