Internationaler Tag des Waldes am 21. März

Gemeinsam statt gegeneinander: Waldkonflikte konstruktiv lösen

Der Wald von heute kann nicht der Wald von morgen sein, soviel ist klar. Doch wie die Wälder der Zukunft in Deutschland aussehen sollen, ist umstritten. Auf ihnen lasten viele Ansprüche: Sie sollen Erholung bieten, Flora, Fauna und Klima schützen und Holz produzieren. Immer wieder führt das zu großen lokalen Konflikten – und die verzögern den Weg zum klimagerechten Wald für alle. Können neue Dialogformate helfen, schneller Kompromisse zu finden? Das erforschen Wissenschaftler*innen des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung im Projekt „Konflikte um den Wald der Zukunft“, das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert wird.

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Wandern im Harz
Foto: dieter76 - stock.adobe.com

Als es im Sommer 2022 zu mehreren Bränden im Nationalpark Harz kam, flammte auch die Debatte um das Totholz wieder auf. Lokale Politiker*innen forderten: Altes Holz, das im Wald liegen bleibt, sei ein Brandbeschleuniger und Sicherheitsrisiko, es behindere die Feuerwehr und müsse weg. Der Landesforstminister schob einen Plan zur Prävention weiterer Brände im Nationalpark an, der genau das vorsah – das lästige Totholz zu räumen und Brandschneisen zu schlagen.

Doch das Totholz hatte nicht nur Feinde, sondern auch Freunde. Es ist wertvoller Lebensraum. Und so stoppte eine Umweltorganisation die geplante Räumung im Harz im Eilverfahren. Die Brände waren deutlich kleiner als angenommen und hatten eine Vielzahl von Ursachen – allen voran die kleine Eisenbahn, die regelmäßig Tourist*innen den Berg hinauffährt und entlang ihrer Schmalspurgleise mit Funken sprüht. Dazu kamen Lagerfeuer, kranke Fichten und die jahrelang anhaltende Dürre.

Totholz gerät schnell in Verdacht. Manchmal weckt es aber auch Begehrlichkeiten. In der Energiekrise, die der Krieg gegen die Ukraine auslöste, meldeten Bürger*innen Bedarf an. Ob man das Holz nicht wie früher zum Heizen sammeln dürfe? Viele Förster*innen sahen das kritisch, schließlich nutzen tausende im Wald lebende Arten das alte Holz als Lebensraum. Moderndes Holz versorgt außerdem Böden und Bäume mit Nährstoffen, bindet Feuchtigkeit und schützt sogar vor Bränden. Es birgt aber auch Risiken für Unfälle, wenn Äste von Bäumen fallen oder Stämme zur Stolperfalle werden.

Hitzige Debatten um den Wald der Zukunft

Der Umgang mit dem Totholz ist also kompliziert. Und er ist nur eines von vielen Konfliktthemen in der hitzigen Debatte um die Zukunft der deutschen Wälder. Es geht um Naturschutz, Klimaschutz, Windkraft, Baumarten, Wasser, Schädlinge, Tourismus, Holzwirtschaft und Jagd. In den Medien liest man dann oft von unvereinbaren Positionen: „Naturschützer und Verteidiger des Wirtschaftswaldes stehen sich unversöhnlich gegenüber“.

Aber ist das wirklich so? Sind die Debatten um den Wald tatsächlich so polarisiert und die Konflikte unlösbar? Anna Brietzke vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main sieht das anders. Sie ist Sozial- und Kulturanthropologin und erforscht die Kontroversen um die künftige Nutzung der deutschen Wälder im Projekt „Waldkonflikte“. Für Brietzke vereinfachen die Medien die Konflikte um den Wald der Zukunft zu stark: „Es ist nicht einfach so, dass die einen aufforsten und die anderen den Wald sich selbst überlassen wollen, oder dass die einen Totholz liegen lassen und die anderen es wegräumen wollen. Die Konflikte um den Wald sind deutlich verwobener und vielschichtiger.“

Um Kompromisse zu finden, so die Wissenschaftlerin, müsse man die Positionen und die zugrundeliegenden Bedürfnisse der Beteiligten noch besser verstehen. Und das habe Potenzial, so Brietzke: „In unserer Forschung zeichnet sich bereits jetzt ab, dass es bei allen Konflikten durchaus auch verbindende Werte gibt. Denn wir haben von vielen Gesprächspartner*innen gehört, dass sie den nächsten Generationen einen gesunden und widerstandsfähigen Wald hinterlassen wollen.“

Mediation statt Eskalation: Wie gestalten wir den Wald der Zukunft?

Die Wissenschaftler*innen am ISOE erforschen daher gezielt ausgewählte, aktuelle Beispiele für Waldkonflikte. Dabei setzen sie auf Dialog, etwa in Form von Gesprächen mit Mediation, Rollen- und Planspielen. Ihre zentrale Frage lautet: Welche Art des Austauschs und der Kommunikation kann helfen, trotz unterschiedlicher Interessen und Werte zu guten Lösungen für alle zu kommen und damit den Weg zum Wald der Zukunft zu ebnen?

Dazu laden die Forschenden seit 2024 zu Runden Tischen ein. Beteiligte aus Zivilgesellschaft, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung kommen dabei vertraulich zusammen und tauschen sich aus – unter Beteiligung professioneller Moderator*innen. Mit an den Runden Tischen sitzt Transformationsforscher Michael Kreß-Ludwig, der das Waldkonflikte-Projekt mit leitet. „Wir bearbeiten bei den Runden Tischen nur Konflikte, bei denen die Fronten noch nicht so festgefahren sind, dass die Parteien gar nicht mehr miteinander reden können“, sagt Kreß-Ludwig. „Es geht also darum, Konflikte gar nicht erst eskalieren zu lassen.“

Dazu analysieren die Wissenschaftler*innen das Geschehen: Was genau ist der Kern der Konflikte, welche unterschiedlichen Akteure und Interessen spielen eine Rolle? Welche Hindernisse und Fallstricke stehen einer Einigung im Weg? Und wie entwickeln die Teilnehmenden selbst Strategien zur Lösung der Konflikte?

Ziel des ISOE-Projekts ist, anhand der Fallbeispiele allgemeine Methoden der Konfliktbearbeitung zu entwickeln und der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen: Welche Ergebnisse sind auf andere Konflikte, Regionen und Konstellationen übertragbar? „Idealerweise tragen wir zur Lösung oder zumindest Verbesserung der untersuchten Konflikte vor Ort bei – und entwickeln dabei Methoden, die auch auf andere Konflikte und Regionen anwendbar sind“, sagt Michael Kreß-Ludwig. Die Beteiligten sollen Mittel an die Hand bekommen, um Konflikte schon zu erkennen und zu bearbeiten, bevor sie sich hochschaukeln.

Offener Austausch zu Konfliktthemen am Runden Tisch

Gisela Wachinger ist als externe Moderatorin bei den Runden Tischen dabei. „Ganz wichtig ist natürlich, die Menschen mit am Tisch zu haben, die betroffen sind und die, die die Situation beeinflussen können, zum Beispiel, weil sie ein Waldgebiet besitzen oder in einer wichtigen Entscheidungsposition sitzen“, sagt sie. „Aber auch diejenigen sollten vertreten sein, die später etwas gegen die erarbeitete Lösung haben könnten. Im konkreten Ablauf der Runden Tische schaffen wir dann den Raum, in dem alle Anwesenden ihre Perspektive offen darstellen können, ohne dass sich jemand als benachteiligt oder nicht gehört wahrnimmt.“

Für Landnutzungsexpertin Deike Lüdtke, Co-Leiterin des Projekts, ist das ein dringendes Anliegen. Der aktuelle Waldzustandsbericht zeige, wie schlecht es den Wäldern geht. „Die Auswirkungen sind mittlerweile so offensichtlich, dass das Thema in der öffentlichen Debatte sehr präsent ist“, sagt Lüdtke. „Ich glaube, alle sind sich einig, dass wir dringend etwas zum Erhalt unserer Wälder unternehmen müssen, weil sie extrem wichtig für unsere Gesellschaft sind.“

Das haben auch die unterschiedlichen Interessengruppen im Harz wohl am Ende so gesehen. Sie konnten sich auf einen Vergleich einigen: Das Totholz wird nicht überall komplett geräumt, sondern nur an den Stellen, wo es für die Sicherheit wichtig ist und dem Naturschutz nicht schadet – etwa entlang von Wegen. Auch bei trockenem Nadelholz in der Nähe von Häusern oder wichtiger Infrastruktur kann eine Räumung angebracht sein. Ansonsten wird der Wald nicht aufgeräumt.

Über das Projekt

Das Forschungsprojekt „Konflikte um den Wald der Zukunft – Analyse und kooperative Bearbeitung von waldbezogenen Aushandlungsprozessen im Kontext des Klimawandels“ wird durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Rahmen des Förderprogramms „Nachwachsende Rohstoffe“ aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Weitere Informationen:

Wissenschaftliche*r Ansprechpartner*in:

Dr. Deike Lüdtke
Tel. +49 69 707 6919-28
 

Dr. Michael Kreß-Ludwig
Tel. +49 69 707 6919-62

www.isoe.de 

Pressekontakt:

Melanie Neugart
Tel. +49 69 707 6919-51

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