Bild: luckakcul – stoc.adobe.com A pile of microplastics - small pieces of hard plastic, intended for further processing. Microplasts are said to settle in the human body.
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Mikroplastik in Meeresfrüchten: Zwischen öffentlicher Wahrnehmung und wissenschaftlicher Evidenz

Kunststoffpartikel sind allgegenwärtig – auch in Lebensmitteln. Oft gelten Meeresfrüchte als besonders belastet. Eine aktuelle Studie vergleicht die öffentliche Wahrnehmung und die wissenschaftliche Datenlage und ordnet die Risiken im Verhältnis zu anderen Aufnahmequellen von Mikroplastikpartikeln ein.
Kunststoffpartikel sind weit verbreitet in der Umwelt und in großen Mengen potenziell schädlich für Menschen, Tiere und Natur. Auch in Lebensmitteln werden Mikroplastikpartikel nachgewiesen, wobei Meeresfrüchte überdurchschnittlich im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Die Sorge um Mikroplastik in Fisch und Schalentieren ist entsprechend bei vielen Menschen groß. Doch sie wird bislang mehr durch mediale Berichterstattung als durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt. Eine aktuelle Studie, an der ISOE-Ökotoxikologin Carolin Völker beteiligt war, untersucht die Aufnahme von Mikroplastikpartikeln über Meeresfrüchte und vergleicht sie mit anderen Aufnahmequellen in den menschlichen Körper. 

In der Studie, die ein internationales Autorenteam im Oktober im renommierten Journal „Environmental Science & Technology Letters“ veröffentlicht hat, stellen die Wissenschaftler*innen fest: Die tatsächliche Belastung von Meeresfrüchten mit Mikroplastik ist vergleichbar mit der Belastung in anderen Lebensmitteln und Getränken – und weit geringer als die Menge, die Menschen über Innenraumluft und Hausstaub aufnehmen. Dennoch widmet sich ein Großteil der wissenschaftlichen Studien zur menschlichen Aufnahme von Mikroplastik der Exposition über Meeresfrüchte – mit mehr als 70 Prozent.

Wie kommt es zu diesem Fokus? Fisch und Schalentiere gehörten zu den ersten Lebensmitteln, die auf Mikroplastik getestet wurden – vor allem, weil die Forschung zu Mikroplastik ursprünglich im marinen Umfeld begann und Meeresorganismen früh als potenziell belastet galten. Zudem schien die Exposition beim Verzehr von Muscheln und Schalentieren, die oft im Ganzen gegessen werden, besonders relevant. Dadurch, so vermutet die Autorengruppe, sei es in der medialen Berichterstattung früh zu einer Überbetonung von Meeresfrüchten und zu Überwertung der Risiken von Mikroplastik in diesen Lebensmitteln gekommen. Inzwischen ist belegt, dass auch andere Lebensmittel ebenso wie Getränke Mikroplastik enthalten.
 

Überbetonung von Meeresfrüchten schürt Ängste 

Die Autorengruppe sieht den medialen Fokus auf der Mikroplastikbelastung in Meerestieren als problematisch an. Er schüre teils unbegründet Ängste, könne dadurch zu einem irrationalen Konsumverhalten führen oder Entscheidungen in der Politik beeinflussen, die nicht auf belastbaren Daten beruhen. Damit die gesundheitlichen Vorteile von Fisch und Meeresfrüchten sichtbar bleiben, brauche es eine ausgewogene Darstellung der Fakten in den Medien. 

Wissenschaftlich betrachtet gebe es bislang es nur minimale Hinweise darauf, dass die Aufnahme von Mikroplastik mit der Nahrung überhaupt ein Gesundheitsrisiko darstelle; offizielle Verzehrwarnungen speziell wegen Mikroplastik liegen nicht vor. Die vorliegenden Erkenntnisse deuten zudem darauf hin, dass die Mikropartikel den Verdauungstrakt passieren und den Körper wieder verlassen. Gleichzeitig bestehen Unsicherheiten – insbesondere zu sehr kleinen Partikeln von Mikroplastik und Langzeiteffekten für die Gesundheit –, die weiterer Forschung bedürfen.
 

Was wir wissen – und was noch unklar ist

Die Autor*innen erläutern in ihrem Artikel „Examining misconceptions about plastic-particle exposure from ingestion of seafood and risk to human health“, dass die Mengen möglicher Schadstoffe, die mit Kunststoffpartikeln in den Körper gelangen könnten, meist deutlich unter toxikologisch bedenklichen Schwellen liegen. Im Vergleich zu anderen Expositionsquellen, wie etwa Innenraumluft und Hausstaub, sei die Konzentration beim Verzehr sogar äußerst gering.

„Es ist wichtig zu verstehen, dass wir bislang noch zu wenig über die gesundheitlichen Folgen von Mikroplastik wissen“, sagt Carolin Völker, Ökotoxikologin am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE). „Offene Fragen bedeuten nicht automatisch ein Risiko, aber sie zeigen, dass wir genauer hinschauen müssen.“ Die Autor*innen plädieren dafür, Wissenslücken zu gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastikpartikeln transparent zu machen – ohne Alarmismus, aber auch ohne Entwarnung hinsichtlich der Risiken von Mikroplastik in Meeresfrüchten. Entscheidend sei, die Forschung zu sehr kleinen Partikeln und möglichen Langzeiteffekten weiter zu intensivieren. 
 

Transparenzhinweis

Die Autor*innen des wissenschaftlichen Artikels „Examining misconceptions about plastic-particle exposure from ingestion of seafood and risk to human health“ haben den Beitrag während des Symposiums „Microplastic and Seafood: Human Health“ konzipiert. Das Symposium fand vom 13. bis 14. September 2022 an der Heriot-Watt University in Edinburgh statt. Das Symposium wurde von einem Konsortium aus Fischereiunternehmen aus Großbritannien, den USA und Australien finanziert. Die Forschung erhielt keine Mittel von der Industrie oder anderen Quellen. Der Artikel entstand als unabhängiger Forschungsbeitrag und durchlief ein Peer-Review-Verfahren.

Kontakt:

PD Dr. Carolin Völker

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Zum Profil

Melanie Neugart

Stellvertretende Leitung Wissenskommunikation und Wissenstransfer, Schwerpunkt Medienarbeit Zum Profil
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