Die Verfügbarkeit von Grundwasser ist elementar für die Trinkwasserversorgung, aber auch für die landwirtschaftliche Bewässerung und industrielle Nutzung. Doch die natürliche Wasserressource gerät weltweit immer stärker unter Druck – durch Bevölkerungswachstum, Wirtschaftswachstum und auch durch die Auswirkungen des Klimawandels, die den hydrologischen Kreislauf beeinflussen. Selbst in einem wasserreichen Land wie Deutschland kommt es vermehrt zu Dürrephasen, die auch das Grundwasser beeinträchtigen. In der Folge kann es zu regionalen Engpässen in der Wasserversorgung kommen, die in Deutschland größtenteils von Grundwasser abhängig ist. Die aktuelle Wasserforschung des ISOE zeigt, wo regionale Hotspots liegen und was das bedeutet.
Was versteht die Forschung unter dem Fachbegriff Grundwasserstress?
Grundwasserstress entsteht, wenn so viel Grundwasser entnommen wird oder sich durch den Klimawandel weniger neu bildet, dass abhängige Ökosysteme Schaden nehmen können. Der Fachbegriff Grundwasserstress kann insofern als eine Art Vorwarnstufe verstanden werden – für Regionen, in denen durch zu hohe Entnahmen oder Auswirkungen des Klimawandels die Grundwasserstände sinken und Ökosystemschäden auftreten können.
Bedeutet Grundwasserstress zwangsläufig auch Grundwasserknappheit?
Nein. In Regionen mit Grundwasserstress ist das Grundwasser nicht notwendigerweise knapp. Vielmehr handelt es sich dabei um Hotspots, in denen gemäß der Grundwasserstressanalyse mehr Grundwasser entnommen wird, als nachhaltig entnommen werden sollte. Dem Vorsorgeprinzip folgend ist es wichtig, solche Anzeichen frühzeitig und überregional zu erkennen.
Wie wird Grundwasserstress gemessen?
Bei strukturellem Grundwasserstress wird gemessen, ob die noch als nachhaltig geltende Entnahmemenge von Grundwasser längerfristig überschritten wird. Die Wasserforschung arbeitet dazu mit einem Schwellenwert, ab dem Ökosystemschäden zu erwarten sind. Wissenschaftliche Studien, die Grundwasserstress auf regionaler Ebene untersuchen, gehen häufig davon aus, dass eine Grundwasserentnahme von mehr als 20 Prozent der Menge, die sich jährlich neubilden kann, negative Folgen für Ökosysteme hat.
Liegt der Schwellenwert für strukturellen Grundwasserstress immer bei 20 Prozent?
Nein. Für Detailanalysen, wie sie zum Beispiel im Rahmen von Wasserrechtsverfahren für konkrete Brunnenstandorte vorgenommen werden, ist es üblich, diesen Schwellenwert an die lokalen hydrogeologischen und Ökosystembedingungen anzupassen. Der Schwellenwert wird dann entsprechend höher oder tiefer angesetzt.
Wie wird akuter Grundwasserstress festgestellt?
Für die Betrachtung kurzfristiger Entwicklungen des Grundwassers bietet es sich an, Grundwasserstände zu betrachten. Ein Rückgang der Grundwasserstände innerhalb weniger Jahre wird als akuter Grundwasserstress bezeichnet.
Warum ist es sinnvoll, Grundwasserstress zu ermitteln?
Die lokale Verfügbarkeit von Grundwasser ist elementar für die Trinkwasserversorgung, die Landwirtschaft, die Industrie und nicht zuletzt für intakte Ökosysteme. Wo Grundwasserstress vorliegt, sind in der Folge Interessenkonflikte um die Ressourcennutzung nicht unwahrscheinlich. Die Stressanalyse kann deshalb auch der Konfliktvermeidung dienen. Grundsätzlich sind bundesweite Analysen im Zuge der Nationalen Wasserstrategie sinnvoll und notwendig, um ein überregionales Bild über alle Wasserressourcen in Deutschland – nicht allein des Grundwassers – zu erhalten.
Wo liegt in Deutschland Grundwasserstress vor?
Eine aktuelle Grundwasserstudie des ISOE deutet auf Grundwasserstress in vielen Landesteilen in Deutschland hin. Um die Hotspots bundesweit sichtbar zu machen, wurde für die Studie eine Datenauswertung auf Landkreisebene vorgenommen: Auf Basis der verfügbaren Daten aus der Zeit zwischen 1991 und 2022 liegt in 201 von 401 Landkreisen ein struktureller oder akuter Grundwasserstress vor. Von strukturellem Grundwasserstress sind 141 Landkreise bzw. kreisfreie Städten betroffen. In diesen Landkreisen werden mehr als 20 Prozent des sich jährlich neubildenden Grundwassers entnommen. Für die Studie wurde zudem akuter Grundwasserstress ermittelt. Die Auswertung der Entwicklung von Grundwasserständen zeigt in 91 Landkreisen einen Rückgang an, der durch Entnahmen oder witterungsbedingt verringerter Grundwasserneubildung entstehen kann. Dieser Effekt geht wesentlich auf die letzte Dürre von 2018 bis 2022 zurück. Die Hotspot-Regionen für strukturellen und akuten Grundwasserstress liegen vor allem in Ost-, Nord- und Westdeutschland (siehe Abbildung Grundwasserstress strukturell und akut).
Welche Methodik liegt der ISOE-Grundwasserstudie zugrunde?
Die Grundwasserstudie des ISOE ist ausdrücklich keine Prognose, sondern eine Bestandsaufnahme unter Verwendung der neuesten Modellierungsdaten zur Grundwasserneubildung, der statistischen Daten zur Grundwasserentnahme von Seiten der statistischen Landesämter sowie zu Grundwasserständen. Zugrunde liegen langjährige Mittelwerte von Grundwasserneubildung und -entnahmen zwischen 1991 und 2020 sowie Grundwasserstände zwischen 2012 und 2021.
Wie alarmierend ist die Gesamtsituation in Deutschland?
Die Grundwassersituation in Deutschland ist derzeit nicht alarmierend. Alarmierend wäre sie, wenn mehr Grundwasser entnommen würde, als sich nachbilden kann. Das ist aktuell nicht der Fall und die Grundwasserstände haben sich seit dem Ende der letzten Dürre bundesweit wieder erholen können. Die Studie weist vielmehr eine Frühwarnung für die Hälfte der Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland aus. Damit zeigt sie, dass der Zustand des Grundwassers in Deutschland kontinuierlich untersucht und bewertet werden muss.
Was sind Empfehlungen für Regionen mit Grundwasserstress?
In Regionen, in denen mehr als 20 Prozent der Menge an Grundwasser entnommen wird, die sich jährlich nachbilden kann, sollten die zuständigen Wasserbehörden eine genaue Analyse der Grundwasserkörper vornehmen lassen – mit allen lokal verfügbaren Daten. Denn ob und in welchem Ausmaß ein konkreter Grundwasserkörper tatsächlich übernutzt wird, lässt sich auf der Grundlage der bundesweit vorliegenden Datenbestände, die der Grundwasserforschung aktuell vorliegen, nur sehr schwer sagen. Hierfür werden detaillierte Daten über hydrogeologische Verhältnisse und vor allem punktgenaue Grundwasserentnahmemengen benötigt.
Was sind Empfehlungen für Regionen mit Wasserknappheit?
Wenn der Grundwasserstress in Grundwasserknappheit übergeht, also tatsächlich ernstzunehmende Engpässe in der Wasserversorgung entstehen, sollten Priorisierungen bei der Grundwassernutzung vorgenommen werden. Das heißt konkret, dass bestimmte Wassernutzungen vorübergehend oder längerfristig ausgesetzt werden müssen und nicht für alle Bedarfe Trinkwasser verwendet werden sollte. Für bestimmte Zwecke ist sogenanntes Betriebswasser ausreichend. Auch sollte der Wasserrückhalt gefördert werden, damit Landschaften Schwammeigenschaften entwickeln und das Wasser aufnehmen und langfristig speichern können.
Wo gibt es weiteren Forschungsbedarf zu Grundwasserstress?
Es wäre wichtig, detailliertere Stressanalysen durchführen zu können, um zu ermitteln, ob und wie weit ein spezifischer Grundwasserkörper übernutzt ist. Hierfür benötigt die Grundwasserforschung jedoch valide Daten. Was fehlt, um Forschungslücken zu schließen, sind insbesondere detaillierte Daten zu Grundwasserentnahmen.
Warum ist die Datenlage für die Grundwasserforschung so schwierig?
Die systematische Datenerhebung über Grundwasserentnahmen von Seiten der Aufsichtsbehörden und der statistischen Landesämter erfolgt bundesweit nur alle drei Jahre und aggregiert diese Informationen auf Landkreisebene. Für tiefergehende Fragen zum Grundwasserstress sind jedoch Daten zu den konkreten Entnahmeorten relevant. Diese Daten sind der Forschung derzeit für eine bundesweite Analyse nicht zugänglich. Entsprechend ist die Bestandsaufnahme zum Grundwasserstress nur so detailliert wie möglich. Die ISOE-Grundwasserstudie liefert damit wichtige erste Anhaltspunkte für mögliche regionale Konsequenzen durch zu hohe Wasserentnahmen und für klimatisch bedingte Trockenheit. Weitere ISOE-Detailstudien, wie sie derzeit im Zuge regionaler Wasserversorgungskonzepte ermittelt werden, dienen der Überprüfung dieser Anhaltspunkte.
ISOE-Grundwasserstudie
Grundwasserstress in Deutschland. Überblicksstudie: Struktureller und akuter Grundwasserstress durch öffentliche und nichtöffentliche Entnahmen auf Ebene der Landkreise. Erarbeitet für den BUND - Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
Autoren: Robert Lütkemeier, David Kuhn. Unter Mitarbeit von Linda Söller.
Weiterführende Links
Zur Pressemitteilung des ISOE anlässlich der Veröffentlichung der Studie vom 16.06.2025: https://www.isoe.de/aktuelles/grundwasserstress-in-deutschland-ueberblicksstudie-zeigt-regionale-hotspots
Grafik zum Grundwasserstress

Abbildung: Landkreise und kreisfreie Städte in Deutschland, die unter strukturellem und/oder akutem Grundwasserstress leiden. Quelle: ISOE
Kontakt:

Dr. Robert Lütkemeier
Leiter des Forschungsfelds Wasser und Landnutzung, Leiter der Nachwuchsgruppe regulate Zum Profil