Bild: Florian Heurich Fotografie
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Transformation Wissen und Partizipation

Sozial-ökologische Transformation im Gegenwind – Rückblick auf die ISOE-Tagung

Welche Folgen ergeben sich aus dem Erstarken populistischer Denkweisen und gezielter Desinformation für die sozial-ökologische Nachhaltigkeitsforschung? Darüber haben wir mit den Gästen unserer ISOE-Tagung diskutiert – konzentriert, konstruktiv und sogar heiter.

Man kennt das vom Radfahren: Bietet man Gegenwind nicht die Stirn, bleibt das Ziel unerreichbar. Das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) hat den Gegenwind als Metapher für seine Tagung genutzt und auf gesellschaftspolitische Entwicklungen übertragen. Denn der sozial-ökologischen Nachhaltigkeitsforschung weht derzeit ein kalter Wind entgegen. Das bekommen Forschende genauso zu spüren wie Akteure aus Unternehmen, Verbänden, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen. Wie also weiter? Mehr als 150 Gäste haben darüber bei der ISOE-Tagung am 26. November 2025 in Frankfurter Haus am Dom diskutiert.

„Sozial-ökologische Transformation im Gegenwind – Wie weiter?“ Der Titel der ISOE-Tagung versprach nicht gerade eine bequeme Fragestellung, öffnete aber einen inspirierenden Diskussionsraum für viele, die den aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs mit Sorge beobachten: Wie lässt sich mit den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen umgehen, die dazu führen, dass Nachhaltigkeitsthemen in den Hintergrund rücken, dass Fragen zum Klimaschutz von der Tagesordnung nahezu verschwunden sind und Forschung zu sozial-ökologisch notwendigen Veränderungen gezielt diskreditiert wird? 

Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Beispiele umso mehr. In ihrer Begrüßungsrede nannte Flurina Schneider, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des ISOE, die Verhandlungen bei der COP30. Sie waren kurz vor der ISOE-Tagung ohne nennenswerte Ergebnisse beendet worden, ohne Signalwirkung für den notwendigen Ausstieg aus den fossilen Energien. Transformationsforscherin Flurina Schneider machte in ihrer Rede deutlich, dass dies einer Dynamik entspreche, die sich länger schon in der Nachhaltigkeitspolitik abzeichne und von rechtspopulistischen Strömungen benutzt werde: 

„Aufbruch und Rückschlag wechseln sich in hohem Tempo ab. Auch in anderen Bereichen wie der Biodiversität: Bis vor kurzem wurden auf EU-Ebene verschiedene Regulierungen entwickelt, die das Ziel hatten, Unternehmen zu mehr Biodiversitätsschutz zu bewegen. Viele davon wurden über die letzten Monate deutlich abgeschwächt, zuletzt vor einer guten Woche das EU-Lieferkettengesetz, das mit Unterstützung der Rechtsaußenparteien deutlich abgeschwächt wurde.“


Auch Timon Gremmels, Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur (SPD), wies in seinem Grußwort an die Tagungsgäste darauf hin: 

„Der Wind ist rauer geworden, Nachhaltigkeitsforschung, Klimaschutz und wissenschaftliche Erkenntnisse stehen unter Druck. Populistische Stimmen gewinnen an Lautstärke, und die Bereitschaft, Veränderungen mitzutragen scheint zu schwinden. In solchen Zeiten ist es entscheidend, dass Forschung nicht nur Erkenntnisse liefert, sondern auch Haltung zeigt gegen Fake News, Desinformation und verkürzte populistische Antworten auf komplexe Fragen.“ 

Populistische Strömungen forcieren Wandel im Transformationsdiskurs

Das Erstarken populistischer Denkweisen, gezielter Desinformation und die vielfältigen Versuche, sozial-ökologische Transformationen zu delegitimieren – viele Anwesende im vollbesetzen Haus am Dom machten deutlich, dass sie diese Entwicklung in ihrer Arbeit betrifft. Das wurde vor allem bei der Podiumsdiskussion mit dem Soziologen Dennis Eversberg, Michael von Grundherr vom Umweltbundesamt, der Unternehmerin Alexandra von Winning und Flurina Schneider deutlich. 

Die ISOE-Tagung nahm diese Sorgen ernst. Sorgen, die über die individuellen Erfahrungen mit „Gegenwind“ hinausreichen und die Stabilität der Demokratie wie auch die Unabhängigkeit der Wissenschaft als Ganzes betreffen. Die überwältigend positiven Rückmeldungen der Tagungsteilnehmenden zeigen, wie wichtig es für sie war, sich mit anderen Akteuren der Nachhaltigkeit darüber konzentriert in einer vertrauensvollen Atmosphäre auszutauschen. Auch darüber, weshalb populistische Erzählungen verfangen. 

Flurina Schneider gab zu bedenken, dass Nachhaltigkeitsthemen in Zeiten der Polykrisen nicht mehr zu den größten Sorgen vieler Menschen gehörten und stattdessen Fragen nach Sicherheit, Verteidigung von Wohlstand und Statuserhalt dominierten. Rechtspopulistische Akteure machten derweil Umwelt- und Klimapolitik zur Zielscheibe ihrer politischen Agitation. Dabei werde der Fokus auf Klima- und Umweltpolitik gezielt als kulturelles Konfliktfeld genutzt, um mithilfe von Stellvertreterkonflikten gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen und staatliche Strukturen in ihrem Sinne zu verändern. 

Widerstände gegen Nachhaltigkeitsthemen: „Wir müssen konfliktreicher werden“ 

Diese Dynamik machte auch Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in seiner inspirierenden wie pointierten Keynote zum Thema. Eindrucksvoll erläuterte er die komplexen Zusammenhänge und Abhängigkeiten, die den „Strukturwandel des Transformationsdiskurses“ durch rechtspopulistische Strategien bedingen. Der Soziologe teilte auch seine Einschätzungen, wie diesen Strategien ein Stück weit der Wind aus den Segeln genommen werden kann: 

„Widerstände gegen Umwelt- und Klimapolitik werden gezielt initiiert und gestärkt. Um dieser Dynamik etwas entgegenzusetzen, muss man genauer verstehen – woher kommt der Widerstand eigentlich? Verstehen heißt hier, wir müssen konfliktreicher werden, auf die Menschen zugehen, auch mit den kritischen Stimmen, die den Gegenwind forcieren, im Kontakt bleiben. Wir müssen ihre Bedürfnisse und die zugrundeliegenden Werte erkennen und ernstnehmen. Und herausfinden, wo und wie diese Bedürfnisse und Werte an Transformationsanliegen, die ja letztlich im Sinne aller sind, andocken können. Für die Nachhaltigkeitsforschung heißt das, dass sie Transformationen offener denken und über unterschiedliche Denkschulen hinweg diskutieren muss.“ 

Reusswig verwies mit Nachdruck auf konstruktive Wege, um den Nachhaltigkeitsdiskurs „zu drehen“. Indem man ihn um positive Zukunftsbilder bereichert, die Emotionen hervorrufen. Mit einem Augenzwinkern rief er deshalb dazu auf, den „sozial-ökologischen Protestantismus“ in seiner Schwere zu überwinden. Und meinte damit: weniger von drohenden Katastrophen auszugehen als von realistischen, positiven Szenarien, wie sie sozial-ökologische Transformationen hervorbringen können. 

In polarisierten Zeiten: Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung als Vorbild

Den Schwung dieser konstruktiven Keynote nahmen die Tagungsteilnehmenden mit in die „Denkräume der Transformation“, ein Format, das viel Raum für positive Szenarien in konkreten Transformationsfeldern wie Biodiversität, Wasser und Mobilität und der Transdisziplinarität als Methode gab. Im Workshop „Mit Gegenwind umgehen“ wurden parallel gezielt Kompetenzen für eine widerstandsfähige Wissenschaft diskutiert. 


Die Teilnehmenden der Tagung nutzten die verschiedenen, auch heiteren Programmpunkte wie das Improvisationsformat „Fast Forward Theatre“ für einen intensiven Austausch untereinander und stellten fest: Die gegenwärtig um sich greifende Skepsis bis hin zur Ablehnung gegenüber den notwendigen Transformationsthemen fordert alle heraus, die sich aktiv für die Lösung von Nachhaltigkeitsthemen einsetzen. Doch bei Gegenwind heißt es, Kräfte zu mobilisieren. Und die ISOE-Tagung zeigte: Die Akteure der Nachhaltigkeit eint eine starke Entschlossenheit, die Segel neu zu setzen.


Und Flurina Schneider erinnerte daran, dass die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung dafür einen wichtigen Beitrag leisten kann. Weil sie partizipative Methoden und Vorgehensweisen kennt und nutzt, um Problemsichten, Interessenlagen und Lösungsideen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Erfahrungskontexten aufzugreifen, wertzuschätzen und in einen konstruktiven Zusammenhang zu bringen. Insofern könne sie sogar ein Vorbild für Gesellschaft und Politik sein: 

„Ich bin tief überzeugt, dass die Problemwahrnehmung und die Bedürfnisse der Menschen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Entwicklung unserer Lebensgrundlage wieder stärker zueinander gebracht werden müssen. Die transdisziplinäre Forschung kann diese Wirkung entfalten. Denn sie wurde ja gerade für komplexe Situationen entwickelt, die von konkurrierenden Interessenlagen, Wertorientierungen und Wissensbeständen geprägt sind – um belastbares Wissen für den Umgang mit Problemen zu generieren. Für den Umgang mit Problemen, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Deshalb bezieht die transdisziplinäre Arbeitsweise von Beginn an kontroverses Wissen und Perspektiven von gesellschaftlichen Akteuren in die Forschung mit ein, weil klar ist: Lösungsoptionen für den Umgang mit umstrittenen Problemlagen können nicht von der Wissenschaft alleine erarbeitet werden.“ 

Doch Flurina Schneider verwies auch auf die Herausforderungen, vor der die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung jetzt steht: Sie müsse sich kritisch fragen, welche Forschungsfragen in diesen polarisierten Zeiten geeignet seien, um einen auf überprüfbaren Fakten basierten demokratischen Diskurs zu stärken. Andererseits müsse sie sich für eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Frage öffnen, wie die Bedingungen einer freien und verantwortungsbewussten Wissenschaft erhalten werden könnten und wie sie sich gegenüber Akteuren verhalten solle, die ihre grundlegenden Prinzipien wie Anerkennung überprüfbarer Fakten, Kritikvermögen, Respekt vor unterschiedlichen Sichtweisen, offenen Dialog und Reflexion unterminierten.

Kontakt:
Prof. Dr. Flurina Schneider: Wissenschaftliche Geschäftsführerin des ISOE

Prof. Dr. Flurina Schneider

Wissenschaftliche Geschäftsführerin Zum Profil

Melanie Neugart

Stellvertretende Leitung Wissenskommunikation und Wissenstransfer, Schwerpunkt Medienarbeit Zum Profil

Im Anschluss an die Tagung bot das ISOE mit der Soirée „Nachhaltig, demokratisch, zukunftsfest? Herausforderungen für die Stadt Frankfurt von morgen“ eine weitere Möglichkeit, Transformationsthemen zu diskutieren. Die Kooperationsveranstaltung mit der Polytechnischen Gesellschaft Frankfurt am Main im voll besetzen Haus am Dom mit Stadtrat Marcus Gwechenberger, Dezernent für Planen und Wohnen der Stadt Frankfurt, Andreas Hofer, Intendant und Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung 2027 (IBA'27), Volker Mosbrugger, Präsident der Polytechnischen Gesellschaft und der Wissenschaftlichen Geschäftsführerin des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) Flurina Schneider wurde von Judith Kösters (hr INFO) moderiert und steht als Video zur Verfügung.

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