Warum engagieren Sie sich in der GTPF?
Mehr als 20 Jahre forschte ich am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) mit dem transdisziplinären Forschungsmodus zu Themen der nachhaltigen Entwicklung. Vor allem aber forschte ich in dieser Zeit über diesen Forschungsmodus, über Qualitätskriterien und angemessene Evaluationsverfahren, über Methoden und Konzepte für das transdisziplinäre Vorgehen und die Stärkung der gesellschaftlichen Wirkungen, die mit Hilfe der Transdisziplinarität erreicht werden können.
Als Gründungsmitglied und Mitglied des Gründungsvorstands der GTPF mündete meine Forschung – zuletzt in der tdAcademy – in eine wissenschaftliche ‚Fachgesellschaft‘. In ihr sehe ich die Chance, dass – aufbauend auf der Forschung der vergangenen Jahre – durch die Vernetzung und die Arbeiten im Rahmen der Arbeitsgruppen sowie durch wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Impulse der transdisziplinäre Forschungsmodus und der partizipative Forschungsansatz gezielt weiterentwickelt werden können.
Was war Ihr schönstes oder lehrreichstes Erlebnis in der transdisziplinären und partizipativen Forschung?
Der Beginn des vom BMBF und der Robert Bosch Stiftung geförderten Vorhabens „Plattform tdAcademy für transdisziplinäre Forschung und Studien“ im Jahr 2020 war für mich gegen Ende meiner wissenschaftlichen Laufbahn mit einem Gefühl des Ankommens und der Anerkennung verbunden. Die große Vielfalt der Möglichkeiten für Forschung, Veranstaltungen, Fellowgruppen sowie Community und Capacity Building war und ist noch beeindruckend. Es ist zu hoffen, dass möglichst viel davon in der GTPF weitergeführt werden kann. Aber auch forschendes Lehren und Lernen mit dem transdisziplinären Ansatz an der Leuphana führte zu fast schon beglückenden Aha-Momenten für Studierende und auch für mich.
Lehrreich war die Erfahrung aus einer Begleitforschung zu einem sehr großen Forschungsvorhaben mit über 80 Verbundpartnern aus Wissenschaft und Praxis sowie mit einer sehr weit gefassten Aufgabe, das abgebrochen werden musste: Transdisziplinäre Forschung braucht Grenzen, sowohl thematische und räumliche als auch hinsichtlich der Anzahl der Mitwirkenden.
Welche Entwicklungen und Themen finden Sie derzeit besonders relevant für die transdisziplinäre und partizipative Forschung (in der DACH-Region oder darüber hinaus)?
In der transdisziplinären Forschung ist häufig nach Abschluss der Forschungsarbeiten ein Umsetzungsdefizit zu beobachten. Das kann möglicherweise durch den iterativen Einsatz von Realexperimenten in der Forschung im Reallabor-Format überwunden werden. Reallabore sind intersystemische Organisationen, von denen Leistungen für die Zivilgesellschaft erwartet werden, die nur in Kombination von wissenschaftlichem und politischem (bzw. zivilgesellschaftlichem) Handeln erbracht werden können.
Reallabore dienen nicht nur gesellschaftlichen Veränderungen. Ein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse sollte auch ein wichtiger Bestandteil von Reallaboren sein. Durch Interventionen entstehen wichtige Erkenntnisgewinne. Diese könnten gesteigert werden, wenn beispielsweise mehrere Reallabore an verschiedenen Ort unter vergleichbaren Settings und übereinstimmenden Standards von Evaluation und Dokumentation durchgeführt werden, um feststellen zu können, warum positive wie negative Ergebnisse/Umsetzungen zu verzeichnen sind. Vergleichende Analysen und Bewertungen sollten konzeptionell und methodologisch entwickelt werden – sowohl für transdisziplinäre Forschung als auch für partizipative Forschungsansätze.
Was braucht es zukünftig für eine Stärkung der transdisziplinären und partizipativen Forschung?
Die GTPF ist die Interessenvertretung der transdisziplinär und partizipativ Forschenden. Um dieser Rolle gerecht werden zu können, muss sie die inhaltliche Arbeit ihrer Arbeitsgruppen unterstützen. In den Gruppen wird wertvolle inhaltliche Arbeit zur Weiterentwicklung zentraler konzeptioneller und methodologischer Aspekte geleistet. Mittel für koordinierende Aufgaben und Publikation wären eine wertvolle Unterstützung.
Mit den Arbeitsergebnissen sollte die GTPF an Politik und Forschungsförderung herantreten, um die in ihrer Satzung und in ihrem Leitbild genannten Ziele zu verfolgen – inhaltlich gestützt durch die Expertise der AGs.
Was würden Sie anderen raten, die überlegen transdisziplinär oder partizipativ zu forschen?
Nicht alles selber machen wollen – so lautet mein Ratschlag. Transdisziplinäre Forschungssettings sind oft wegen der hybriden Zusammensetzung und der verzwickten Fragestellungen so komplex, dass das Team sich Unterstützung holen sollte. Eine professionelle Moderation von Teamsitzungen beispielsweise oder sehr klare Rollenzuweisungen.
Und – besonders zu Beginn während des sogenannten Problem Framing Geduld haben und Zeit lassen, um sich auf gemeinsame Problem- und Zielbeschreibungen zu einigen, die so essentiell für die Forschungsarbeit sind.
Autor*innen
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Matthias Bergmann
Matthias Bergmann ist Associate Research Scientist am ISOE.
Über die GTPF
Die Fachgesellschaft GTPF hat es sich zum Ziel gemacht, das Potenzial der transdisziplinären und partizipativen Forschung noch besser zu entfalten, Qualitätsstandards zu sichern und weiterzuentwickeln. Sie will zudem den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern, die Lehre unterstützen und forschungspolitische Impulse setzen. Mehr unter: www.gtpf.science
Neben dem ISOE waren an der Gründung der GTPF als eingetragenem Verein zentrale Akteure der Forschungscommunity wie die Leuphana Universität Lüneburg, das Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) an der Technischen Universität Berlin, das Öko-Institut und das Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung beteiligt.
Die Gründung der Fachgesellschaft geht auf eine Initiative der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungs- und Community-Plattform für Transdisziplinarität tdAcademy unter der Co-Leitung des ISOE zurück. Die tdAcademy, deren Geschäftsstelle seit 2023 im ISOE in Frankfurt angesiedelt ist, ging ihrerseits aus dem Forschungsprojekt TransImpact hervor. Dessen Forschungsteam hatte 2015, ebenfalls unter der Leitung des ISOE, damit begonnen, Qualitätskriterien der transdisziplinären Forschung zu erarbeiten und die Voraussetzungen zu schaffen, um die Wissensbasis und Wirkungsforschung von Transdisziplinarität systematisch zu erfassen.
Dieser Beitrag ist zuerst auf „Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung“ erschienen.