Das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderte Projekt untersucht die komplexen Verflechtungen und weitreichenden Auswirkungen einer durch künstliche Kühlung grundlegend veränderten Erde. Von der Ernährung über Gesundheit und Fortpflanzung bis zu Telekommunikation und Wohnen – alles ist durch eine menschgemachte Kryosphäre miteinander verbunden. Empirisch fundiert und theoretisch gestützt beschreibt das Projekt erstmals künstliche Kühlung als ein kulturelles und technologisches Phänomen.
Forschungsansatz
Im Zentrum des Projekts steht ein integrativer Mixed-Methods-Ansatz, der historische, geografische, begriffsgeschichtliche, ethnografische sowie technik-philosophische Perspektiven zusammenführt. Die Ziele des Vorhabens sind eine erste geografische Kartierung der künstlichen Kryosphäre, eine historische Rekonstruktion ihrer Entstehung, eine ethnografische Darstellung ihrer kulturellen Verfasstheit, eine philosophische Analyse und ethische Bewertung der ihr zugrunde liegenden Normen und Werte sowie die Identifizierung von Alternativen für eine nachhaltigere Zukunft. Das internationale Forschungsteam erhebt dafür über einen Zeitraum von sechs Jahren umfangreiches ethnografisches Material in Australien, Indien, Europa und den USA. Das ISOE führt dabei unter anderem zwei ethnografische Pilotstudien in den Bereichen Lebensmittel und Raumklimatisierung durch.
Hintergrund
Vor dem Hintergrund der fortschreitenden globalen Erwärmung ist in den kommenden Jahrzehnten mit einem signifikanten Anstieg des weltweiten Bedarfs an künstlicher Kühlung zu rechnen. Prognosen zufolge könnte sich der Energiebedarf für entsprechende Technologien bis 2050 vervielfachen. Das hat weitreichende Folgen für globale Energiesysteme, ökologische Tragfähigkeit und soziale Gerechtigkeit. Kühltechnologien stellen damit ein zentrales Element in einem sich selbst verstärkenden klimapolitischen Wirkungszusammenhang dar: Sie dienen kurzfristig der Anpassung an steigende Temperaturen, tragen durch ihren hohen Energieverbrauch und den Einsatz klimaschädlicher Kältemittel jedoch mittel- und langfristig zur weiteren Erderwärmung bei. Hinzu kommt der enorme Kühlbedarf für Rechenzentren, gerade vor dem Hintergrund der wachsenden Nachfrage nach künstlicher Intelligenz. Dies zeigt, wie Kühltechnologien fundamentale kulturelle und soziale Ordnungen transformieren. Die künstliche Erzeugung von Kälte beeinflusst zeitliche, räumliche und materielle Dimensionen des Alltagslebens: Sie hebt saisonale Rhythmen in der Lebensmittelversorgung auf, erweitert biografische und biologische Reproduktionszeiträume und prägt Vorstellungen von Gesundheit, Hygiene, Komfort und Modernität. Diese tiefgreifende kulturelle Verwobenheit künstlicher Kälte mit gesellschaftlichen Praktiken, Symboliken und Normen ist bislang weitgehend unbeachtet geblieben. Kälte fungiert nicht lediglich als technische Infrastruktur, sondern als symbolisch aufgeladene und historisch kontingente kulturelle Formation.
Forschungs- und Projektpartner
- Technische Universität Darmstadt (Leitung)
- Universität Paderborn
- Kulturwissenschaftliches Institut der Universität Duisburg-Essen
- Australian National University Canberra
- Universität Hamburg
- Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Förderung
Das Projekt „Cultures of the Cryosphere – Infrastructures, Politics and Futures of Artificial Cooling“ wird im Rahmen des ERC Synergy Grant Nr. 101118625 (2024–2030) durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) gefördert.
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