Empfehlung der Ecornet-Institute

Bundesforschungsministerium sollte Zukunftsstrategie nachbessern

Führende Institute der Nachhaltigkeits- und Zukunftsforschung begrüßen die Entwicklung einer „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ des Bundesforschungsministeriums (BMBF). Die Institute des Ecological Research Network (Ecornet), zu denen auch das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung gehört, weisen jedoch darauf hin, dass der vorgelegte Entwurf trotz wichtiger Impulse den gesellschaftlichen Herausforderungen nicht vollständig gerecht werde. Die Bedeutung sozialer Innovationen müsse stärker ins Zentrum der Zukunftsstrategie gerückt werden. Um die Klimakrise zu mindern, Biodiversität zu schützen, globale Gerechtigkeit zu erreichen und den sozialen Zusammenhalt, Teilhabe und Daseinsvorsorge zu garantieren, brauche es auch partizipative Forschungsmethoden, die die Gesellschaft einbinden. Die Ecornet-Institute empfehlen dem BMBF daher, die Schwerpunktsetzung der Strategie nachzubessern. 

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Der Entwurf der Zukunftsstrategie fokussiere bislang auf technische Innovationen, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung neuer, marktbasierter Geschäftsmodelle. Diese seien aus Sicht der Ecornet-Institute zwar wichtig, reichen aber aufgrund der aktuellen Transformationsherausforderungen, die die Gesellschaft insgesamt betreffen, nicht aus. Der Entwurf sollte partizipativer ausgerichtet werden, meint Camilla Bausch, Direktorin des Ecologic Instituts und Sprecherin von Ecornet. „Wir brauchen ein Forschungs- und Innovationssystem, das der Notwendigkeit des Wandels noch stärker gerecht wird. Noch ist unklar, wie die Strategie weiter ausgearbeitet werden soll. Wir empfehlen einen transparenten Prozess und eine öffentliche Debatte unter Einbindung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. In die Gestaltung einer Zukunftsstrategie müssen alle relevanten Gruppen eingebunden werden,“ so Klima- und Energieforscherin Bausch.

Zukunftsorientierung ist mehr als Fokus auf Technologie und Innovation

„Die Zukunftsstrategie sollte stärker auf Innovationen fokussieren, die zur Lösung aktueller und zukünftiger gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen. Denn nicht jede Innovation ist auch ein Fortschritt. Dafür sollte die Strategie konsequent an der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und den Anforderungen des Pariser Klimaschutzabkommens ausgerichtet sein“, sagt Ecornet-Sprecher Thomas Korbun, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). „Der Entwurf der Strategie sollte dem innovativen Potenzial von Zivilgesellschaft, öffentlichen Institutionen oder Nutzer*innen stärkeres Gewicht geben. Denn Innovationen entstehen nicht nur in Wissenschaft und Wirtschaft.“ 

Dies betont auch Flurina Schneider. Die wissenschaftliche Geschäftsführerin des ISOE vermisst im gegenwärtigen Entwurf der BMBF-Zukunftsstrategie zudem eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Frage, welche Zukunft eigentlich angestrebt und gestaltet werden soll. „Es gibt zwar ein klares Bekenntnis zu den Sustainable Development Goals. Dies steht aber unverbunden neben den Schlüsselthemen der Strategie, nämlich Fortschritt und Innovationen.“ Größere Aufmerksamkeit müsse auch den Krisen und Konflikten gewidmet werden, die in breit angelegten Veränderungsprozessen unvermeidbar seien. Hier brauche es deutlich mehr Forschung. „Zu begrüßen ist zwar, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2025 auf 3,5 Prozent steigen sollen. Doch das allein reicht nicht. Es fehlen Antworten auf die Frage, wie sich das Wissenschafts- und Innovationssystem insgesamt ändern muss, um die neuen Wissensbedarfe aufnehmen zu können.“ 

Mehr systemisches Denken und Perspektivenvielfalt

Die Beschäftigung mit diesen grundlegenden Fragen rücke aus Schneiders Sicht auch das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft stärker in den Blick. Die Konzentration auf Technologietransfer greife zu kurz. Vielmehr sei ein breiteres Verständnis von Transfer notwendig. Dieses stelle gesellschaftliche Lernprozesse in den Mittelpunkt und damit auch soziale Innovationen. Zudem sei der Aufbau langfristiger und stabiler Partnerschaften wichtig, um Wissensbedarfe unmittelbarer aufgreifen und umgekehrt neues Wissen schneller in die Praxis bringen zu können. Schließlich sollten gesellschaftlich Akteur*innen viel stärker als bislang in Forschungs- und Innovationsprozesse eingebunden werden. Zwar finden sich nach Einschätzung der Ecornet-Institute im Entwurf gute Ansätze, wie gesellschaftliche Akteur*innen in Forschungs- und Innovationsprozesse eingebunden werden sollen. Doch zielt das Verständnis von Beteiligung häufig allein darauf, Akzeptanz zu schaffen und Risikoaversionen in der Gesellschaft zu überwinden.

„Um die komplexen und verwobenen gesellschaftlichen Krisen zu lösen, braucht es mehr vernetztes, systemisches Denken," sagt Camilla Bausch. „Technologische und soziale Innovationen sollten als Teil eines gesellschaftlichen Gestaltungsprozesses verstanden werden. Daher sollte in der Zukunftsstrategie der Aspekt der transdisziplinären Forschung deutlich gestärkt werden.“ Das heißt für Flurina Schneider vor allem: Perspektivenvielfalt und die Integration unterschiedlicher Akteur*innen und Wissensformen von Anfang an. Nur so könne es gelingen, den bestehenden Herausforderungen gerecht zu werden und den notwendigen gesellschaftlichen Rückhalt zu bekommen. Noch sei aber genau diese transdisziplinäre Forschung, die zivilgesellschaftliche Akteur*innen frühzeitig und umfassend in den Forschungsprozess einbindet, in der Zukunftsstrategie kaum präsent.

Vorhandenes Wissen berücksichtigen

Im Rahmenprogramm zur Forschung für Nachhaltigkeit (FONA) und insbesondere im Förderschwerpunkt Sozial-ökologische Forschung (SÖF) wurden in den letzten Jahrzehnten international herausragende Erfahrungen bei der Erforschung sozial-ökologischer Krisen und Transformationspfade erarbeitet. Diese betreffen auch das Forschungs- und Innovationssystem selbst. Der Strategieentwurf greift jedoch kaum auf diese Erfahrungen zurück. Im Gegenteil: Das Forschungsministerium hat in diesen Programmen seine Förderung deutlich gekürzt.

Um die Leistungsfähigkeit der deutschen Innovationslandschaft langfristig abzusichern und Fehlentwicklungen zu vermeiden, sei es deshalb aus Sicht der Ecornet-Institute wichtig, technologische Schwerpunkte der Strategie mit den Erkenntnissen aus FONA und SÖF anzureichern – zum Beispiel in Bezug auf nachhaltige Mobilitätskonzepte. Auch sollte die Strategie bestehendes Wissen zu methodischen Zugängen, zur Integration unterschiedlicher disziplinärer Zugänge, zu Prozessdesign und Zielorientierung im Innovationsprozess stärker verankern und für Förderformate nutzbar machen. Dazu zählen insbesondere transdisziplinäre Forschungsansätze, die sozialwissenschaftliche Perspektiven und gesellschaftliche Praxis in Innovationsprozesse integrieren sowie technische Entwicklungen kritisch und konstruktiv begleiten.

Neues Innovationsverständnis für den sozial-ökologischen Wandel

Die Ecornet-Institute betonen: Sozial-ökologischer Wandel erfordert, dass technische und soziale Innovationen Hand in Hand gehen, um angemessen auf die multiplen Krisen reagieren zu können. Sie begrüßen deshalb, dass soziale Innovationen stärker gefördert werden sollen. Doch damit diese wirkungsvoll werden können, sollte der Strategieentwurf noch konkreter aufzeigen, wie sie mit gesellschaftlichen Herausforderungen oder technologischen Innovationen zusammenhängen. Die Strategie sollte technische und soziale Fragen stärker zusammendenken.

Um bestehende Pfadabhängigkeiten aufzubrechen und bereits in Nischen existierenden sozialen und technischen Innovationen zum Durchbruch zu verhelfen, sei es wichtig, dass die Förderung sozialer Innovationen auch institutionelle Innovationen in den Blick nimmt. Ecornet empfiehlt dem Bundesforschungsministerium, in der Strategie ein Innovationsverständnis zu entwickeln, das erfolgreiche Innovationen nicht allein am Markterfolg misst. Die Institute weisen zudem darauf hin, dass nicht nur Wissen fehlt, sondern auch Know-how darüber, wie Fähigkeiten und Kompetenzen auch im Sinne einer „transformative literacy“ verbessert werden können. Hier brauche es weitergehende Ansätze, als sie die Zukunftsstrategie bislang mit Bezugnahme auf die Bildungskampagne „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ beschreibt.

Über das Ecological Research Network (Ecornet)

Ecornet ist ein Netzwerk aus acht Forschungseinrichtungen mit zusammen über 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Institute forschen praxisnah an der Lösung gesellschaftlicher Probleme, mit dem Ziel, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Sie teilen einen konsequent transdisziplinären Forschungsansatz: Sie verbinden das Wissen und die Werkzeuge verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zu neuen Erkenntnissen und Forschungsmethoden und beziehen von Beginn an Akteure aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in den Forschungsprozess ein.

Mitglieder im Ecornet sind:

  • Ecologic Institut
  • ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg
  • ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung
  • Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
  • IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung
  • Öko-Institut e.V.
  • Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UfU)
  • Wuppertal Institut

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